Neue Marktsegmente ansprechen – Markt-Kannibalisierung vermeiden (1/3)
Die aktuelle Wirtschaftssituation sorgt dafür, dass das Niedrigpreissegment immer größer wird und die Anbieter im mittleren und Premium Segment immer mehr unter Druck geraten.
Unternehmen können ihre Strategie anpassen, indem sie ihre Produkte unter einer neuen Marke in diesem niedrigeren Segment anbieten. Alternativ können sie ihre Produkte geringfügig verändern und dann zu einem geringeren Preis einer neuen Zielgruppe anbieten. Verfolgt ein Unternehmen eine dieser Strategien, so ist es von enormer Wichtigkeit Markt-Kannibalisierung zu vermeiden.
Unter Markt-Kannibalisierung versteht man laut Wirtschaftlexikon Gabler die „Absatzsteigerung eines Produktes auf Kosten eines teureren Produktes des gleichen Anbieters, herbeigeführt durch konkurrierende Vermarktung der beiden Produkte.“ Dies bedeutet in der Praxis: ein Produkt anbieten, welches einem, vom Unternehmen bereits angebotenen Produkt ähnlich ist, dies aber zu einem geringeren Preis. Die Kannibalisierung tritt dann ein, wenn so viele Kunden vom teureren Produkt zum erschwinglicherem wechseln, dass das Unternehmen nach der Einführung einen geringeren gesamten Deckungsbeitrag erzielt. Dies bedeutet, dass selbst bei einem Mehrabsatz in Stück / Menge das Unternehmen insgesamt durch die Produktneueinführung weniger verdient und somit einen Schaden erleidet.
Um sicher zu gehen, dass ein solches Szenario nicht eintritt, ist es wichtig, dass vor der Einführung des neuen Produktes die Kannibalisierungsrate geschätzt wird. Diese ist jener Prozentsatz der Verkäufe des neuen Produktes die von den Verkäufen des alten Produktes stammen. D.h. wie viele der Kunden des neuen Produktes vorher Kunden des alten teureren Produktes waren. Diese Rate gibt mir also Auskunft darüber, wie viele der neuen Verkäufe den Verkäufen des alten Produktes „weggenommen“ wurden. Ohne die Produktneueinführung wäre dieser Prozentsatz der neuen Verkäufe beim alten bereits angebotenen Produkt geblieben.
Diese Kannibalisierungsrate muss geringer sein als die Break Even Cannibalization Rate (BECR), damit das Unternehmen einen Vorteil aus einer solchen Maßnahme zieht. Diese errechnet sich aus der Division des Deckungsbeitrags des neuen Produktes durch den Deckungsbeitrag des bereits angebotenen Produktes. Die BECR drückt also aus wieviel Prozent der Verkäufe des neuen günstigeren Produktes maximal durch Kannibalisierung erreicht werden dürfen, damit das Unternehmen durch die Segmenterweiterung einen Vorteil erzielt. D.h. wieviel Stück der neuen Verkäufe maximal den alten „weggenommen“ werden dürfen oder wie viele Kunden des neuen Produktes maximal vorher Kunden des alten gewesen sein dürfen. Sind die Deckungsbeiträge ähnlich, so ist die BECR hoch und die Gefahr einer Kannibalisierung gering. Denn in einem solchen Fall verdient das Unternehmen mit beiden Produkten ähnliche Deckungsbeiträge und verliert somit, selbst bei einer sehr hohen effektiven Kannibalisierungsrate, nur wenig. Umso größer aber der Unterschied der Deckungsbeiträge der beiden Produkte umso größer ist die Gefahr bei einer Kannibalisierung Verluste zu erleiden.
Im folgenden Beispiel soll ein solcher Prozess dargestellt werden:
Ein Unternehmen vertreibt aktuell 5000 Stück eines Produkts A mit einem Deckungsbeitrag pro Stück (DB) von € 2,00 und führt nun ein ähnliches Produkt B zu einem niedrigeren Preis und einem niedrigeren Deckungsbeitrag pro Stück von € 1,50 ein. Ziel des Unternehmens ist es durch die Einführung des Produktes mehr als die € 10,000 (=DB*verkaufte Stück=€ 2,00*5000) gesamten Deckungsbeitrag zu erwirtschaften.
Zu diesem Zeitpunkt berechnet man die Break Even Cannibalization Rate:
Diese Zahl gibt mir Aufschluss darüber wie hoch meine effektive Kannibalisierungsrate nach Einführung des neuen Produktes maximal sein darf, damit das Unternehmen durch die Einführung des neuen Produktes keinen Schaden davon trägt. Das heißt, die Verkäufe des Produktes A dürfen maximal um 75% der neuen Verkäufe zurückgehen damit das Unternehmen einen Vorteil erzielt oder anders ausgedrückt maximal 75% der Kunden des neuen Produktes dürfen vorher Kunden des alten teureren Produktes sein. Umso höher diese Break Even Cannibalization Rate ist, umso weniger Risiko läuft man durch die Einführung einen Schaden anzurichten, denn umso höher die BECR umso höher kann letztendlich auch die effektive Kannibalisierungsrate sein.
Nehmen wir nun an das Unternehmen hat sich dazu entschlossen das neue Produkt einzuführen und verkauft im nächsten Geschäftsjahr nur mehr 2750 Stück des alten Produktes A und 3000 des neuen Produktes B. Die Verkäufe des Produktes A sind also um 2250 Stück zurückgegangen.
Nun kann man die effektive Kannibalisierungsrate ausrechnen:
Die effektive Kannibalisierungsrate beträgt 75%. Dies bedeutet, dass 75% der Verkäufe des Produktes B von den Verkäufen des Produktes A stammen. 75% der neuen Verkäufe gingen also nicht an neue Kunden sondern an Kunden die vom teureren Produkt zum billigeren Produkt gewechselt sind. In diesem Fall ist die Kannibalisierungsrate genau gleich hoch wie die BECR und dementsprechend ist der gesamte DB vor Einführung (=5000*2=€ 10,000) genau gleich hoch wie der DB nach der Einführung (=2750*2+3000*1,5=€10,000) des Produktes B. Das Unternehmen hat also durch die Einführung des neuen Produktes weder einen Schaden noch einen Gewinn davon getragen.
Was passiert nun wenn das Unternehmen nach der Neueinführung aber nur 2500 vom Produkt A verkauft? Und was wenn es 3000 von Produkt A verkauft? Versuchen Sie dies selbst auszurechnen. Die Antwort auf diese Fragen und ein Tool, das sehr hilfreich dabei ist, bereits in der Planung der Neueinführung sicherzustellen, dass die effektive Kannibalisierung nicht höher als die Break Even Cannibalization Rate sein wird, finden Sie im nächsten Management Memo.