Gefühle des Mangels

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Horst Völser

Der 1962 in Dresden geborene Schriftsteller Ingo Schulze beschreibt im Handelsblatt das Unbehagen, das ihn befallen hat: „Die neue Selbstverständlichkeit ist ein allumfassender Ökonomismus. Etwas zu denken, das sich ’nicht rechnet‘, das nicht dem Wachstum dient, das dem McKinsey-Prinzip entzogen wird, existiert kaum noch marginal.“

Ich meine: die absolute Hinwendung zur „wirtschaftlichen Produktivität“ schafft zwar materiellen Wohlstand, aber auch Leere im persönlichen Bereich. Ökonomischer Wohlstand beruhigt, ist aber selten ein Teil der Sinngestaltung des Lebens.

Die Suche nach dem Sinn des Lebens ist so alt wie die Menschen. Diese Sinnsuche drückt sich vor allem in Religion und „Aktivitäten für die Allgemeinheit“ aus.

Religion befriedigt die Suche nach dem Sinn vor allem durch den Glauben an „Höheres“, an eine Verbesserung im nächsten Leben.

Aktivitäten für die Allgemeinheit erfüllen sofort, bereits jetzt. Etwas tun, das nicht nur mir dient, sondern gut für die Allgemeinheit ist, stellt zufrieden und gibt Sinn. Das Sprichwort: „Geben ist seliger als nehmen“ drückt dies klar aus. Dieses Geben hat viele Facetten: es kann eine Spende sein oder Hilfe bei der Problembewältigung. Es kann die Pflege eines Kranken sein, aber auch das Gespräch mit einem einsamen Menschen. Ob Sie nun Geld oder Zeit schenken, es schafft Zufriedenheit für den / die Schenkenden.

Die Mitgliedschaft in der Musikkapelle oder bei den Pfadfindern, der Feuerwehr oder der Selbsthilfegruppe für Krebspatienten, all diese Aktivitäten sind für die Allgemeinheit sinnvoll. Zusätzlich zum Beitrag für die Allgemeinheit „erhält“ der / die Gebende das Gefühl der Dankbarkeit und der Sinnerfüllung und befriedigt somit das innere Bedürfnis des Menschen Gutes zu tun und versucht so, die „ökonomische Leere“ zu überwinden.

Oft heißt es, materieller Wohlstand ist eine Voraussetzung dafür, dass wir es uns leisten können, uns mit der Sinnerfüllung zu beschäftigen. Dies stimmt so nicht, da nachweisbar das Glücksempfinden und die Zufriedenheit in eher „ärmeren Gesellschaften“ höher ist, als in den materiell besser gestellten. Die Frage lautet daher: „Verhindert materieller Wohlstand die Sinnsuche und das Glücksgefühl“?

Ich meine, das eine (der materielle Wohlstand) schließt das andere (die Sinnerfüllung) nicht aus, sondern ergänzt. Es ist mir bewusst, materieller Wohlstand bedeutet in der Regel viel und harte Arbeit und in manchen Fällen Einsatz bis zur Erschöpfung. Erfolg in der Arbeit befriedigt und bringt Glückgefühle: ich habe es geschafft. Leider sind diese Glücksgefühle in der Regel von kurzer Dauer: die Hektik des Tagesgeschäftes eliminiert recht schnell das Erfolgsgefühl.

Sinn finden wir auf Dauer eigentlich nur in den Tätigkeiten, die wir selbst als „wichtig und richtig“ erachten, in jenen Tätigkeiten die dauerhaften Sinn versprechen. Dauerhaften Sinn findet der Mensch unter anderem in der Tätigkeit für die Allgemeinheit, indem er / sie Gutes tut.

Die Herausforderung ist es, die persönliche Balance zwischen beiden Elemente zu finden: den Ausgleich zwischen materiellem Streben und persönlicher Sinnerfüllung. Es sollte nicht zu einem entweder / oder kommen, sondern zu einem „sinnvollen, ergänzendem“ Miteinander.