Agiles Projekt-Management vs. altes Hausmittel
Agile Methoden, agile Unternehmen, agile Mitarbeiter.
Der Begriff Agilität begegnet mir (gefühlt) immer öfter. Agil bedeutet beweglich, flexibel, aktiv. Unternehmen wollen agil sein, und Menschen ja auch (wenn es nicht zu anstrengend wird). Oder andersrum betrachtet: Wer mag sich selbst schon gerne als unbeweglich bezeichnen?
Agiles Projekt-Management wurde erfunden für Projekte, bei denen das Ziel anfangs nicht ganz klar ist, und der Weg dorthin auch nicht; bei denen sich die Rahmenbedingungen schnell ändern können. Dann ist Flexibilität gefragt. Oder eben Agilität.
Agile Methoden legen großen Wert auf Teamwork und auf Zwischen-Ergebnisse, die sich verwerten lassen. Besser eine funktionierende Lösung schnell, als eine perfekte zu spät. Man tastet sich im Team vorwärts, in engem Kontakt mit dem Kunden.
Das klingt sinnvoll. Agilität ist somit ein Trend, der eigentlich keine Kritiker haben kann. Und so bekommt dieses Thema viel wohlwollende Aufmerksamkeit – und zwar sowohl auf Arbeitgeber- als auch auf Arbeitnehmer-Seite. Das ist doch erstaunlich!
Drei – zwo – eins: Sprint!
Es gibt rund ein Dutzend agile Methoden. Sie stammen meist aus der Welt der Software-Entwicklung. Eine Methode, die auch in anderen Branchen immer populärer wird, heißt Scrum. Der Begriff kommt vom Rugby und bedeutet Gedränge.
Die wichtigsten Zutaten: Teams sollen möglichst autonom entscheiden dürfen. Tägliche Team-Sitzungen heißen Daily Scrum und werden im Stehen abgehalten. Die Kür sind sogenannte Sprints. Das sind besonders intensive Phasen mit exakt anvisierten Ergebnissen. Danach folgt eine Sprint Retrospektive, sozusagen die gute alte Manöver-Kritik.
Ohne den sprachlichen Firlefanz kommt einem vieles bekannt vor. Und so frage ich mich, ob hier alter Wein in neuen Schläuchen daher kommt? Ist Scrum wirklich so viel besser als das gute, alte Projekt-Management – wenn es denn wirklich gut gemacht ist? Hm, schwierig zu vergleichen.
Mehr Motivation und Effizienz mit agilen Methoden
Laut einer Umfrage der Deutschen Gesellschaft für Projektmanagement und der Hochschule Koblenz schnitten agile Methoden in fast allen untersuchten Aspekten besser ab als das „klassische“ Projektmanagement. An der Umfrage im Jahr 2015 nahmen gut 600 Personen aus über 30 Ländern teil; drei Viertel aus der DACH-Region.
Die folgende Abbildung zeigt die untersuchten Aspekte wie z.B. „Kundenorientierung“, und sie enthält agile Methoden wie Scrum (grün) oder das klassische Projektmanagement (rot). Scrum wurde in allen Kriterien am besten bewertet, das Projektmanagement in fast allen am schlechtesten:
GPM und Hochschule Koblenz (2015): Studie „Status Quo Agile“, S. 13
Auf den ersten Blick könnte man sagen: Aha, ok, die agilen Methoden haben gewonnen. Das Projektmanagement kann abgeschafft werden, ab in’s Management-Museum.
Auf den zweiten Blick ist die Sache weniger eindeutig. Würde man die Diagramm-Säulen wie Orgelpfeifen anordnen – also der Höhe nach –, würde das Projektmanagement nicht mehr ganz so abgeschlagen wirken: denn nicht alle agilen Methoden haben deutlich besser abgeschnitten.
In zwei Kategorien haben jedoch alle agilen Methoden deutlich besser abgeschnitten: Bei der Mitarbeitermotivation und bei der Effizienz. Das würde die Forderung agiler Methoden nach mehr Teamwork und Flexibilität untermauern.
Eine weitere Auffälligkeit: Bei der Termintreue schneiden alle Methoden relativ schwach ab. Ein Vergleich ist hier aber besonders schwierig, denn laut der Studie basieren Methoden wie Scrum auf dem Ansatz, „Termine konstant zu halten und die Arbeitsinhalte zu variieren“. Wenn sich bei einem Sprint herausstellt, dass er nicht zum gewünschten Ergebnis führt, wird er abgebrochen. Wenn man mit dem herkömmlichen Projektmanagement nicht pünktlich zum gewünschten Ergebnis kommt, wird halt der Abgabe-Termin verschoben. Zudem ist Termintreue immer auch eine Frage der Selbst-Einschätzung (oder Selbst-Überschätzung) – egal, mit welcher Methode.
Fazit: Ein Methoden-Vergleich mit wissenschaftlichen Maßstäben ist kaum möglich. Dem Thema Repräsentativität widmen die Studien-Autoren sogar ein eigenes Kapitel, denn diese herzustellen sei „eine kaum lösbare Herausforderung“. Übrigens nutzt nur ein Fünftel der Befragten agile Methoden „in Reinform“. Der Großteil arbeitet also mit einem Methoden-Mix.
Beide wollen es
Agile Methoden scheinen auf sehr fruchtbaren Boden zu fallen. Sie treffen auf Arbeitgeber, die sich davon mehr Produktivität versprechen. Und sie treffen auf Arbeitnehmer, die sich davon mehr Produktivität versprechen.
Hoppla, beide wollen das Gleiche? Ja freilich! Alle wollen doch in absehbaren Zeitspannen greifbare Ergebnisse sehen. Ein Maurer sieht seine Leistung relativ schnell in Form einer Mauer. In vielen Büro-Jobs ist die Leistung jedoch relativ abstrakt, Etappen nicht immer klar abgesteckt.
Oft fehlt der Moment, ab dem man stolz auf seine Leistung sein kann. Oder man spürt ihn nicht, weil man an fünf Projekten gleichzeitig arbeitet, und weil man vor lauter Projekt-Verwaltung nicht zur eigentlichen Arbeit kommt. Wer kennt das nicht?
Win-win statt Mau-mau
Wir alle kennen das: Projekte, die schwach strukturiert sind und im Sande verlaufen. Teams, die ad hoc zusammengewürfelt und à la longue im Stich gelassen werden. Wir kennen Projekt-Kalender mit vielen bunten Balken und wir kennen höhere Kräfte (z.B. den inneren Schweinehund).
Wir kennen flache Hierarchien und Matrix-Organisationen, die nicht selten Führungs-Vakuum und E-Mail-Overkill bedeuten. Wir kennen Job-Annoncen, in denen „belastbare“ Bewerber gesucht werden und wir ahnen, dass sie auch wegen schlechtem Projekt-Management belastbar sein müssen.
Bestimmt kennen Sie aber auch das gute Gefühl, etwas Großes geschafft zu haben! Ein tolles Projekt mit tollem Team, bei dem das Ergebnis viel mehr war als die Summe der einzelnen Teile. Dieses beflügelnde Gefühl, für das man auch mal im anaeroben Bereich arbeitet. Positiver Stress.
Und so ist es kein Wunder, dass agile Methoden bei Arbeitgebern und Arbeitnehmern so viel Interesse wecken. Erstere schielen womöglich auf die Sprints, und zweitere wollen ihre Energie sinnvoll einsetzen und Teamwork so gestalten, dass die Arbeit nicht am schüchternsten Glied hängenbleibt. Wenn dafür eine neue Methode eingeführt werden muss, dann bitte gern!
Was bleibt, was kommt?
Welche Entwicklung werden Scrum & Co. nehmen? Raus aus der Nerd-Nische, rein in den Management-Mainstream? Und wann wird es das Wort scrummen in den Duden schaffen? Spätestens dann wäre der Hype vorbei…
„Vorsicht, ein Trend geht um / Du brauchst Veränderung“ lautet ein Songtext der Band Mediengruppe Telekommander. So wie diese Band bin auch ich etwas skeptisch gegenüber Trends. Manche sind gar nicht sooo neu, und manche haben einfach leichtes Spiel.
Eine Methode ist so gut oder schlecht, wie sie genutzt wird. Es ist wie mit einer dieser Küchenmaschinen, die das Kochen mit Töpfen und Pfannen angeblich überflüssig machen. Die Dinger können was, aber sie kochen garantiert nicht so gut wie die Großmutter mit ihrer alten Hardware. Bevor man eine neue Methode einführt, sollte man sich fragen, ob man die bisherige ausgeschöpft hat.
Die Einführung agiler Methoden solle übrigens ebenfalls „agil“ erfolgen, „also in kleinen Schritten“, so die Studie. Doch eine agile Komplett-Kur eignet sich nicht für jedes Unternehmen. Man kann es ja erstmal mit Teil-Anwendungen probieren. Und sei es nur die Wiederentdeckung des alten Hausmittels, dass man Teams Entscheidungs-Freiheiten geben muss, damit sie sich entfalten können.
Das ROI TEAM hilft, wie immer, gerne beim (Wieder-) Entdecken.